Zum 600. Todestag von Graf Hugo spielt das Kammerorchester Tettnang dessen Lieder. Während andere damals erotische Werke schrieben, ging es ihm um etwas ganz anderes.
Vorbericht / Schwäbische Zeitung / von Christel Voith, Mark Hildebrandt / online 29.10.2023, 10:00 /
„Er hat tatsächlich versucht, am klassischen Ideal anzuknüpfen“, sagt Tettnangs Stadtarchivar Patrick Wiesenbacher im Gespräch.
Vor 600 Jahren starb der Montfort-Graf, am 5. April 1423. Das Kammerorchester bringt nun Werke aus seiner Liedersammlung auf die Bühne.
Beim Herbstkonzert am Sonntag, 5. November, feiert das Ensemble noch etwas Rundes, nämlich das eigene 30-jährige Bestehen. Beginn ist um 18 Uhr im Rittersaal.
„Es ist kein Programm von der Stange“, sagt Orchesterleiterin Manuela Klöckner. Man spürt die Begeisterung, mit der sie neue Herausforderungen für ihr Orchester sucht.
An Hermann Lochers Flügel treffen die beiden letzte Abstimmungen.
Der Tettnanger Bassist wird die vier Lieder singen, die der Musikforscher Norbert Johann Sebastian Mayr in einem Heidelberger Prachtcodex entdeckt und für Sänger und
Orchester umgesetzt hat.
Er sei nicht nur erfolgreicher Staatsmann, sondern eine feinsinnige Persönlichkeit gewesen, führt Klöckner aus.
Das poetische Werk, liegt in einer Prachthandschrift vor, die zehn Lieder in gotischer Choralnotation enthält.
Während der Graf die Texte verfasst hat, ließ er sie von seinem Gefolgsmann Bürk Mangolt vertonen.
Mayr, der seit Jahren zur Thematik „Minnesang in der Bodenseeregion“ forscht, hat statt der Begleitung durch die Laute eine vierstimmige Neufassung geschaffen,
die sie aus der Vergessenheit heben soll.
Keine historische Rekonstruktion, sondern ein eigener Ansatz. Damit soll der „tolle Text“, wie Locher bestätigt, zum Leben erwachen.
So bekundet das erste ein andächtiges Staunen über die Schöpfung, das zweite hofft in Reue und Buße auf Gottes Hilfe, das dritte ist ein geistreiches Streitgespräch mit „Frau Welt“: „Du solt mit fröiden mit mir leben, lass vogelin sorgen und gang zu mir und spring mit fröiden an den tantz…“, das vierte ein Lied zur dritten Hochzeit des Grafen mit Anna von Neuhaus. Lieder in ruhigem Fluss, auch ein Tanzlied „mit burgundischem Spitzenschuh“, so Klöckner.
Walther von der Vogelweide gilt als der Minnesänger schlechthin.
Hugo von Montfort, erleutert Patrick Wiesenbacher, steht in einer langen Tradition, die durchaus auch im heutigen Tettnang fortsetzt. Immerhin findet sich in Tettnang schon im Jahr 1397 ein Tanzplatz in einem Obstgarten. Tettnanger Musiker wirken immer wieder überregional: 1487 etwa wird ein Hans von Tettnang als Trompeter am Innsbrucker Hof erwähnt. Als das Schloss an die Österreicher geht und die Herrschaft der Montforter endet, stehen viele Instrumente auf den Inventarlisten: „Das zeigt einfach die hohe Bedeutung der Musik in Tettnang“, sagt Wiesenbacher.
Und mit dem Ende des Grafengeschlechts fällt die Musikpflege auf die Schulen. Der Schulmeister und seine Schüler singen zu Martini und Neujahr, auf Hochzeiten und Beerdigungen. Der Lohn dort: Zwei Stücke Fleisch für den Lehrer und ein Napf Suppe für die kleinen Sänger.
Neben der Schützengilde ist der Liederkranz der älteste Verein in Tettnang: Den gibt es seit 1828. „Musik und Gesang sind immer schon wichtig in Tettnang gewesen“, sagt Tettnangs Stadtarchivar. Das setzt sich heute mit einer großen Musikschule, zahlreichen Ensembles unterschiedlicher Musikrichtungen und bemerkenswerten Tettnanger Musikern in aller Welt fort. Auch die Musik zum Jahreswechsel gibt es noch ‐ mit Il Giardino. Und als musikalische Begleitung bei Festen hat die Stadtkapelle den Schulchor von einst schon lange abgelöst.
Vom Werk, das Graf Hugo hinterließ, zieht das Konzertprogramm eine Verbindungslinie ins barocke England: Eingestreut in die Lieder des
Grafen sind die vier Sätze aus einem Concerto von Charles Avison (1709‐1770), das auf Scarlatti-Sonaten basiert.
„Ich habe gleich gedacht, das will ich spielen“, sagt Klöckner und meint das dritte Concerto d-moll aus der Werkgruppe "12 Concertos in seven parts".
In selbstbewußter musikästhetischer Grenzüberschreitung machte Avison mit mit diesen Scarlatti-Adaptionen für Streicher das berühmt-berüchtigte Tastenspiel
Domenico Scarlattis für aufgeschlossene Zeitgenossen zugänglich, die die Musik nun selbst spielen konnten.
Am Anfang des Konzerts steht indes das Doppelkonzert d-Moll BWV 1043 von Johann Sebastian Bach. Die Geigerin Anna Mishkutenok aus St. Petersburg, die schon einmal mit Freuden in Tettnang gespielt hat, habe es vorgeschlagen. Und gleich den ukrainischen Geiger Jaroslav Menzinski dazu genannt ‐ Musik kennt keine Grenzen. Mit einem schwungvollen Satz einer Mendelssohn-Sinfonie soll das Konzert dann zu Ende gehen und zum geselligen Beisammensein anlässlich des Jubiläums überleiten. Solisten sind Anna Mishkutenok und Jaroslav Menzinsky, Violine, und Hermann Locher, Bass.